Tief durchatmen, einfach rollen lassen
Vor dem Slalom atmet Gabi Aigner einmal hörbar durch. „Jetzt habe ich eine Hemmung“, sagt sie, lacht verlegen und steuert ihr Fahrrad dann doch entschlossen auf den Parcours aus Tennisbällen zu. Auf der anderen Seite des Schulhofs nimmt Yana Mokrina die Kurve ein bisschen zu eng, wackelt, fängt sich wieder. Im Gegensatz zu Veselina Buranovska: Plötzlich knirschen ihre Reifen auf den Steinen, sie fällt unsanft auf die Seite, rappelt sich auf und steigt sofort wieder auf den Sattel.
Für Anfänger und Wiedereinsteiger
Gabi, Yana und Veselina sind erwachsen, haben die Schulzeit längst hinter sich gelassen. Trotzdem üben sie, was die meisten Kinder hierzulande spätestens im Grundschulalter beherrschen. Denn die drei Frauen können nicht oder nicht mehr Fahrrad fahren. Für Menschen wie sie bietet der ADFC Duisburg dreimal im Jahr den Kurs „Radfahren für Anfänger und Wiedereinsteiger“ an. Yana stammt aus der Ukraine. „Fahrradfahren war da kein Thema, wir haben im Winter Schlittschuhe angezogen“, erzählt sie. „Da war es eher komisch, wenn man nicht Schlittschuh laufen konnte.“ Aber jetzt würde die 51-Jährige gerne gemeinsam mit ihrem Mann Sport treiben, mit Freunden Radausflüge machen – und mitreden. „Das Fahrrad hat gesellschaftlich einfach einen großen Stellenwert bekommen“, sagt sie.
„Wenn man sich fortbewegt und den Fahrtwind spürt, ist es toll.“
Auf dem Weg zum Schulhof der Heinrich- Heine-Gesamtschule in Rheinhausen, ihrem Übungsgelände, laufen die drei Frauen an einem orangenfarbenden Rad vorbei, an dem ein Warnschild montiert ist. „4 Tote und 165 Schwerverletzte in nur 30 Monaten sind zu viel“, ist darauf zu lesen. Gabi, Yana und Veselina schieben ihre Räder, über die Kreuzung an der Neuen Krefelder Straße brausen die Autos. Der zunehmende Verkehr, mangelnde Rücksichtnahme, eine verbesserungswürdige Radinfrastruktur – Anfängern wird es in der Stadt nicht leicht gemacht. „Das Sicherheitsgefühl, das Gefühl, das Fahrzeug zu beherrschen, steht bei uns im Vordergrund“, sagt Kursleiter Harald Höbusch deshalb.
Anfänge mit dem Laufrad
Aber wie bringt man Erwachsenen das Rad-fahren bei? „Nicht anders als Kindern“, meint der ADFC-Trainer. Die Idee stamme von einem Freund, dessen Nachwuchs gerade mit dem Laufrad das Radfahren lernte: Die Kursleiter montieren für ihre Schüler einfach die Pedale ab – und machen aus normalen Fahrrädern kurzerhand Laufräder für Erwachsene. Am dritten von vier Kurstagen haben die meisten der acht Teilnehmer dieses Stadium schon hinter sich gelassen. Konzentriert treten sie in die Pedale, und wer doch einmal ins Straucheln gerät, nimmt es mit Humor. „Es ist, wie das erste Mal mit Skiern den Berg runterzufahren: Wenn man sich fortbewegt und den Fahrtwind spürt, ist es toll“, schwärmt Yana. Die Angst vor der Geschwindigkeit, die Angst vorm Sturz fährt trotzdem bei vielen mit.
„Radfahren ist eine essentielle Fähigkeit – wie Schwimmen.“
Radfahren ist auch Lebensqualität
Das Verfolgungsfahren, bei dem immer zwei Teilnehmer hintereinander herfahren, klappt gut. Aber als Kursleiterin Simone Klinner den Begegnungsverkehr üben und die Radneulinge aufeinander zufahren lassen will, steht Gabi die Unsicherheit ins Gesicht geschrieben. Sie ist eine Wiedereinsteigerin, hat als Kind „ganz normal“ Fahrradfahren gelernt. „Aber ich habe mir schon mehrfach wehgetan und über die Jahre immer mehr Angst aufgebaut“, erzählt sie. In diesem Jahr ist die 62-Jährige noch gar nicht in den Sattel gestiegen; ohne die Sonntagstouren am Rhein entlang ist für sie ein Stück Lebensqualität verloren gegangen.
Gelernte Mechanismen wieder aktivieren
„Wir versuchen den Teilnehmern abzutrainieren, dass Radfahren Kopfsache ist“, sagt Harald Höbusch. „Tief durchatmen, Mitte finden, einfach rollen lassen.“ Doch der Zweiradmechaniker weiß, dass das manchmal leichter gesagt als getan ist. Viele Anfänger haben Probleme, die routinierte Radfahrer nicht sofort nachvollziehen können: Manche springen einfach vom Fahrrad, ohne zu bremsen, andere halten den Lenker starr und verstehen nicht, dass sie ihr Körpergewicht einsetzen müssen.
Ein Anfang ist gemacht
Als alle Teilnehmer in einer Reihe nebeneinanderfahren sollen, rammt Veselina beinahe Yanas Rad. Trotzdem: „In zwei Stunden habe ich hier mehr gelernt als bei allen anderen Versuchen zusammen“, sagt die 31-Jährige. Natürlich habe sie es als Kleinkind und Teenager mit den ramponierten Rädern ihrer großen Schwester und ihrer Cousins probiert, aber so etwas wie gemeinsame Familienausflüge mit dem Fahrrad gab es nicht. Auch wenn Veselina nur wenigen Freunden erzählt hat, dass sie jetzt an einem Anfängerkurs teilnimmt – schämen tut sie sich dafür nicht, gelacht hat ohnehin niemand. „Fahrradfahren ist eine essentielle Fähigkeit – wie Schwimmen“, sagt sie ganz resolut. „Ich kann einfach nicht akzeptieren, dass ich es nie lerne.“ Die ersten Tritte jedenfalls sind jetzt gemacht.
6-Seenplatte-Runde Duisburg-Buchholz
leichte Tour
Distanz 17,1 km
Dauer ca. 1:10 h
bergauf 60 m
bergab 60 m