Superhelden auf zwei Rädern
Rilana Nahrstedt sieht nicht aus wie eine Superheldin. Ihr fehlt der stechende Blick und statt des Capes trägt die 28-Jährige ein schwarzes Trikot mit einer Sportjacke darüber. Trotzdem fühlt sie sich, als hätte sie Superkräfte, wenn sie mit ihrem Fahrrad durch die Duisburger Innenstadt düst: „Man entwickelt einen siebten Sinn, sieht die Lücken im Verkehr, bekommt ein Gespür für die Ampelphasen.“ Die drahtige junge Frau ist schnell, gut trainiert, manchmal auch draufgängerisch – aber nicht unverwundbar. Knochenbrüche gehören zum Job, zweimal das Schlüsselbein, zuletzt der Unterarm.
Mit Lasten- und Rennrad statt Pferd
Rilana arbeitet als Fahrradkurier für die Pony Riders. Der Name erinnert an den legendären Pony-Express, eine Reitersta-fette, die im 19. Jahrhundert als schnellste Postverbindung Nordamerikas galt. Aber für die 14 Profi-Radler, die Ross und Reiter als Logo auf ihren Trikots tragen, geht es nicht durch die menschenleere Prärie, sondern mit dem Lasten- oder Rennrad kreuz und quer durch den Duisburger Stadtverkehr, manchmal auch bis nach Essen oder Oberhausen – immer auf der Straße. „Auch wenn sich manche Autofahrer aufregen oder sehr dicht an einem vorbeifahren, ist das sicherer als auf dem Radweg, weil man besser gesehen wird“, sagt Rilana.
„Man entwickelt einen siebten Sinn, sieht die Lücken im Verkehr, bekommt ein Gespür für die Ampelphasen.“
Druckereien, Marketingfirmen und die Wirtschaftsbetriebe gehören genauso zu den Auftraggebern des Kurierdienstes wie Apotheken, Eisdielen und Bio-Märkte, die ihren Kunden einen Lieferservice anbieten. Muskelkraft statt Spritverbrauch – das entspricht dem Zeitgeist. „Im Stadtkern und im Feierabendverkehr geht’s mit uns definitiv schneller als mit dem Auto“, sagt Kai Edel, die „Mutti für alles“ bei den Pony Riders. „Aber viele wählen auch bewusst den Fahr-radkurierdienst, weil das ökologischer ist.“
Ein echter Lebensstil
An einem normalen Arbeitstag reißt Rilana, eine von drei Frauen im Team, locker 90 Kilometer ab. Eine Distanz, die sie mit kaum mehr als einem Schulterzucken kommentiert. Seit 2016 tritt die Duisburgerin, die erst kurz zuvor das Fahrradfahren als Hobby entdeckt hatte, für Geld in die Pedale. Inzwischen weiß sie: „Das ist ein Lebensstil.“ Die Bewegung an der frischen Luft, das Frei-heitsgefühl, die Abwechslung – was als Studentenjob begann, lässt sie längst nicht mehr los. „Fahrradfahren macht süchtig“, sagt sie. „Seit ich wegen meiner Schreinerlehre kürzergetreten bin, habe ich regelrecht Entzugserscheinungen bekommen.“ Doch da ist noch mehr: Bei den Pony Riders hat Rilana eine zweite Familie gefunden. Das Büro des Kurierdienstes im Keller einer ehemaligen Druckerei sieht mit dem gestreiften Sofa und der alten Stehlampe fast wie ein etwas chaotisches Wohnzimmer aus – wären da nicht die Fahrräder, die an der Heizung lehnen oder ohne Sattel auf die Reparatur warten. Jeder Mitarbeiter prägt das Unternehmen, hat ein Mitspracherecht, alle bekommen denselben Stundenlohn und nach der Schicht sitzt man oben in der Bar Edel noch gemütlich bei einem Bier zusammen.
Kuriere bilden eine große Community
Der Zusammenhalt ist typisch für die Szene. Das weiß Kai, der schon in Sidney und Melbourne, in Dublin und Köln als Fahrradkurier gearbeitet hat, am besten. Es gibt nicht nur WhatsApp-Gruppen und Weltmeisterschaften, „man kennt auch auf der ganzen Welt Leute und hat überall einen Schlafplatz“. Vor neun Jahren hat der 44-Jährige mit den Tattoos an Hals und Händen die Pony Riders gemeinsam mit vier anderen Fahrern gegründet, nachdem Duisburgs einziger Fahrradkurierdienst dichtgemacht hatte. Aus dem Nebenjob wurde ein Hauptberuf. „Selbst meine Eltern, die immer gefragt haben, wann ich mir einen richtigen Job suche, haben das mittlerweile verstanden“, erzählt Kai. Inzwischen fährt er seit 21 Jahren professionell Fahrrad, bei der Weltmeisterschaft in Guatemala hat er sogar mal die Lastenradwertung gewonnen. Aber auch privat ist Kai am liebsten auf zwei Rädern unterwegs – ob Rennrad oder Mountainbike, ein Kontinentalrennen quer durch Amerika oder einfach mal durchs Sauerland.
Ross und Reiter sind unzertrennlich
Im Vergleich zu ihrem Kollegen ist Rilana noch ein Frischling: Die Deutsche Fahrradkurier-Meisterschaft im Duisburger Rhein-Park 2019 war ihre erste; noch weiß die junge Frau nicht, ob der Job, der mehr an Extremsport als an Arbeit erinnert, wirklich auf Dauer etwas für sie ist. Anders sieht es in der Freizeit aus: „Ich mache keinen Urlaub mehr ohne mein Fahrrad“, sagt Rilana. Irgendwie sind sie und ihr Rad eben doch so unzertrennlich wie Ross und Reiter auf ihrem Trikot.
Erlebnisradweg duisport
schwere Tour
Distanz 23,8 km
Dauer ca. 1:36 h
bergauf 60 m
bergab 70 m