Ein Wahrzeichen in R(H)EINORANGE
Lutz Fritsch ist ein groß gewachsener Mann. Doch vor einem seiner berühmtesten Kunstwerke wirkt er winzig. Kein Wunder: Die Skulptur am Treffpunkt von Rhein und Ruhr ragt ganze 25 Meter in die Höhe. Fritsch mustert dieses orangefarbene Stahlmonument von allen Seiten. Ein Lächeln blitzt auf. „Die Skulptur gehört zu meinen Meisterwerken“, sagt der 67-Jährige.
Ausgezeichnete Sehenswürdigkeit
Das sogenannte Rheinorange ist weit über Duisburg hinaus bekannt. „Das Kunstwerk taucht sogar in einem australischen Reiseführer als eine der Top-Sehenswürdigkeiten in Deutschland auf“, erzählt Fritsch. „Vom Kölner Dom steht hingegen nichts drin.“
Seit 1992 ist das Rheinorange eine Landmarke im Duisburger Stadtteil Kaßlerfeld. Fritsch hat die Skulptur entworfen, bei der Anfertigung mit angepackt und den Aufbau begleitet. „Das war eine spannende Zeit“, berichtet der Kölner. Dann lässt er sich auf einer Bank nieder und erzählt, wie Duisburg zu seinem Wahrzeichen kam.
Ein Blick zurück
Die Geschichte beginnt Ende der 1980er-Jahre. „Damals war in Duisburg gerade eine Ära zu Ende gegangen“, sagt Fritsch. Der Konzern Krupp hatte beschlossen, sein Stahlwerk in Rheinhausen zu schließen. In der Stadt pendelte die Stimmung zwischen Zukunftsangst und Resignation. Die drei Wirtschaftsjunioren Ulrich Kleier, Markus Teuber und Hans-Jürgen Götzke hatten überlegt, in dieser schwierigen Zeit ein Zeichen zu setzen und Duisburg ein Kunstwerk zu schenken. Sie sprachen bei Christoph Brockhaus vor. Der damalige Leiter des Lehmbruck-Museums stellte dann den Kontakt zu Lutz Fritsch her. Dieser war von dem Plan begeistert – und legte los.
Bei einer Schiffstour entlang der Duisburger Flüsse kam ihm die Idee. Er sah die Wiesen an der Mündung der Ruhr in den Rhein. „Das war für mich der perfekte Standort“, erzählt Fritsch. Er betrachtete den Ort aus mehreren Perspektiven. „Als Linie sollte die Skulptur mit den Schornsteinen im Hintergrund korrespondieren“, erklärt der Künstler. „Als Fläche hingegen sollte sie parallel zur Ruhr und quer zum Rhein Position beziehen.“
RAL 2004 – Reinorange
Fritsch legte die Größen fest. 25 Meter hoch, sieben Meter breit und einen Meter tief sollte das dreidimensionale Kunstwerk sein. Er zeichnete Skizzen und fertigte ein maßstabsgetreues Modell an. Und auch einen Namen hatte Fritsch bereits gefunden: Duisburg sollte das Rheinorange bekommen. In der Bezeichnung steckte auch ein Wortspiel. Den von Fritsch ausgewählten Farbton kennen Maler und Lackierer als RAL 2004. Oder eben als Reinorange. Die Skulptur sollte auch ein Zeichen für den Wandel und die Aufbruchsstimmung in Duisburg sein. Als Fritsch während einer Ausschusssitzung die Skizze und das Modell zeigte, sagte ein Teilnehmer der Runde: „Das erinnert mich an eine glühende Stahlbramme.“
„Die Skulptur steht am Rheinkilometer 780. Das ist doch super, dass das Magazin und Rheinorange jetzt zusammenkommen.“
Die Pläne standen. Doch nun begann die eigentliche Arbeit. „Jetzt ging es um die Genehmigung und die Finanzierung“, sagt Fritsch. „Die Skulptur musste durch alle Bereiche der Politik und Bürokratie geschleust werden.“ Die Wirtschaftsjunioren kümmerten sich um die Grundfinanzierung, gewannen Sponsoren und leisteten Überzeugungsarbeit bei Duisburger Unternehmen. Letztendlich wollten sich 46 Firmen mit ihrem Fachwissen einbringen. Auch aus dem Rathaus kam die Zustimmung – und so konnten die Arbeiten beginnen. „Es war eine einzigartige Wir-Unternehmung“, sagt Fritsch.
Für die Herstellung der Stahlelemente konnte das Team noch auf die Produktionsstätten in Rheinhausen zurückgreifen. „Somit war das Rheinorange das letzte Werkstück des dortigen Krupp-Standortes“, betont Fritsch. Als die Skulptur im Sommer 1992 fertig zusammengesetzt und lackiert war, musste sie flussabwärts transportiert werden. „Es gab die Idee, den Quader im Rhein zum Ziel treiben zu lassen“, verrät Fritsch. Der Plan wurde jedoch verworfen.
Im Morgengrauen des 26. Septembers 1992 fuhr schließlich ein Schiff mit einer 83 Tonnen schweren Ladung von Rheinhausen in Richtung Rheinkilometer 780. Die Montage lockte ein großes Publikum an die Landzunge. Die Zuschauer sahen, wie der Schiffskran Grizzly die Skulptur anhob. Ein Autokran brachte das Rheinorange dann über dem Fundament in die richtige Position. „Zwischenzeitlich sah es so aus, als würden die Ankerschrauben nicht in die Bohrungen passen“, erzählt Fritsch. „Aber dann musste der Kranführer das Objekt bloß ein wenig drehen – und alles saß perfekt.“ Beifall brandete auf. Duisburg hatte ein neues Wahrzeichen direkt am Wasser.
Ziel erreicht
Am Rheinorange endet zudem der 240 Kilometer lange Ruhrtalradweg – und den steuern mittlerweile Radfahrer aus ganz Deutschland an. So auch Manuela und Ulf Postert. Vor drei Tagen sind sie in Winterberg losgefahren, jetzt stellen sie ihre Fahrräder ab und machen ein Erinnerungsfoto vor dem Rheinorange. Sie haben ihr Ziel erreicht. „Das haben wir schon von weitem sehen können“, sagt Ulf Postert. Lutz Fritsch hört gerne, dass das Kunstwerk auch der Orientierung dient. Er kommt mit dem Ehepaar ins Gespräch und erwähnt seine Rolle im Entstehungsprozess.
Zur Verabschiedung gibt Fritsch den beiden Touristen noch einen Tipp mit auf dem Weg. „Besuchen Sie doch mal die Eisdiele um die Ecke“, sagt er. „Zum Kuckuck“ verkauft nämlich eine ganz besondere Sorte: Dort gibt es Rheinorange-Eis zum Schlecken.