Alles im Fluss
Noch stehen Bagger hinter dem Bauzaun, Steine sind palettenweise gestapelt, um das Gelände führt eine Baustellenstraße. Doch spätestens in einem Jahr soll hier die Natur vollends übernehmen. Das alte Kohlekraftwerk wird vom Horizont verschwinden, die Arbeiter ziehen ab und die derzeit noch nackten Bauflächen werden sich in ein grünes Dickicht verwandeln. Das Mündungsdelta der Emscher in den Rhein – nach achtjähriger Bauzeit Ende 2021 geflutet – wird das Glanzstück, der spektakuläre Höhepunkt eines jahrzehntelangen Renaturierungsprojekts.
Schon seit über einem Jahr führt die Emscher, einst Deutschlands dreckigster Fluss, kein Abwasser mehr. Rund 200 Flusskilometer, größtenteils Zuflüsse zur Emscher, wurden unter Federführung der Emschergenossenschaft (EGLV) bereits renaturiert. Prominentestes Duisburger Beispiel ist die Alte Emscher im Landschaftspark Nord, wo vor der Industriekulisse wieder Schilf am Ufer wächst und sich – zur Freude der Angler – zahlreiche Fische im sauberen Wasser tummeln.
„Die Emscher selbst ist auf ihren 80 Kilometern von Holzwickede bis Dinslaken oft zwischen Autobahn und Schifffahrtskanal eingezwängt, da kann man nicht viel machen“, erklärt Dr. Mario Sommerhäuser, der bei der EGLV die Abteilung „Fluss und Landschaft“ leitet. „Deshalb werden nach und nach insgesamt 20 ökologische Schwerpunkte gesetzt, wo der Fluss frei mäandrieren und die Natur sich entwickeln kann.“ Einer dieser Schwerpunkte ist die Mündungsaue. Streng genommen liegt das neue Naturparadies zwar in Dinslaken. „Aber die Mündung der Emscher wurde über die Jahrzehnte immer weiter nach Norden verlegt und ist so erst von Duisburg nach Dinslaken gewandert“, weiß Mario Sommerhäuser. „Von daher haben die Duisburger immer noch einen Anspruch darauf“, meint der Biologe, der das Delta ohnehin als Ergänzung des Vogelschutzgebiets in der Walsumer Rheinaue sieht, schmunzelnd.
Ein einmaliger Versuch
Kiebitze, Regenpfeifer und zahlreiche rastende Zugvögel haben das neue Refugium schon für sich entdeckt. Jetzt warten die Biologen gespannt, welche Fische im Laufe der Zeit aus dem Rhein in die Emscher kommen. Denn mit der erneuten Verschiebung der Mündung um 500 Meter Richtung Norden wurde der Höhenunterschied zwischen den Flüssen – fünf Meter stürzte die Emscher herab – ausgeglichen: freie Bahn also für Schmerlen, Rotaugen und Döbel. Ein jährliches Monitoring soll künftig Auskunft über die Artenvielfalt von Flora und Fauna geben. Mit eingebunden ist dabei nicht nur die Universität Duisburg-Essen als wichtigster Partner, auch international zieht die Renaturierung der Emscher als eines der größten Infrastrukturprojekte Europas viel Aufmerksamkeit auf sich. Denn der Versuch sei einmalig, sagt Mario Sommerhäuser: „Wo sonst auf der Welt entsteht schon mal ein ganzer Fluss neu?“
Unter die Arme gegriffen
Hier und da hat die Emschergenossenschaft im rund 20 Hektar großen Delta der Natur unter die Arme gegriffen, allein hier liegt das Investitionsvolumen bei 70 Millionen Euro. Groß angelegte Auen, die bei Hochwasser zu einer einzigen Wasserfläche werden, dienen zum Schutz vor Überschwemmungen; die zurückbleibenden Tümpel als Brutstätte für neues Leben. Auch die Böschungen und Deiche, angesät mit einer speziellen kräuterreichen Wiesenmischung, sollen die Artenvielfalt fördern. Neben verschiedensten Gräsern zur Erosionssicherung wachsen unter anderem bald Mohn und Margeriten. „Hier wird ein großes Feuchtgebiet entstehen mit ganz unterschiedlichen Wasserflächen – etwas, was der Natur sehr nützt“, so der Biologe.
„Wo sonst auf der Welt entsteht schon mal ein ganzer Fluss neu?“
Den Rest soll Mutter Erde dann schön selbst erledigen. „Ende des Jahres ist die Mündung fertig, bis dahin wird sich hier alles sehr verändern. Man wird es nicht wiedererkennen, so grün wird das“, ist Mario Sommerhäuser überzeugt. Die bisherigen Erfahrungen aus dem Renaturierungsprojekt stimmen jedenfalls zuversichtlich: Seit der Abwasserfreiheit kehren Wassertiere – Fische, Muscheln und Insekten – in die Emscher zurück, Eisvögel kommen wieder an den Ufern vor und Wasserpflanzen, von Schwimmblattpflanzen bis zum Röhricht, breiten sich aus.
Und natürlich zieht das neue Naturerlebnis auch Besucher an. Erster Anlaufpunkt ist der Hof Emschermündung, den der Wasserwirtschaftsverband schon 2013 renoviert und umgebaut hat. Heute dient die ehemalige ehemalige Hofanlage am Hagelkreuz als Besucherzentrum: Es gibt ein Café und einen Spielplatz, zahlreiche Kooperationspartner bieten Workshops und Seminare zu Natur und Nachhaltigkeit an. Nistkästen, Streuobstwiesen und Bienenhotels finden sich ebenso auf dem Gelände wie verschiedene Gärten und sogar ein Kunstatelier. „Die Renaturierung der Emscher ist zwar ein Ökoprojekt, aber eben auch ein Projekt für die Menschen in der Region, ein Beitrag zum Strukturwandel, ein Stück Lebensqualität“, sagt Mario Sommerhäuser, der davon ausgeht, dass die neue Mündungsaue bald zum Naturschutzgebiet wird. „Wir wollen einen naturverträglichen Tourismus.“
Projekt mit Zukunft
Deshalb hat die EGLV einem Wohnmobilstellplatz eine klare Absage erteilt. Stattdessen wird ein Radweg auf dem neuen Deich gebaut, ein begehbarer Turm wird als Landmarke einen tollen Ausblick auf die Mündung in den Rhein bieten und im Rahmen der Initiative „Mach mit am Fluss!“ führen eigens ausgebildete Emscher- Guides bald durch die idyllische Gewässerund Auenlandschaft. Erst auf dem Rückweg, fährt man wieder über den tief eingedeichten, schnurgeraden Emscher- Kanal. Noch.