24 Stunden im Duisburger Hafen
Als der Ruhrorter Magistrat am 16. September 1716 den endgültigen Beschluss fasste, einen Hafen zu bauen, tickten die Uhren in Ruhrort noch langsamer. 300 Jahre später ist vom romantischen Bild der Schifffahrt auf Rhein und Ruhr nicht viel übriggeblieben. Logistik ist ein modernes, durchgetaktetes Geschäft. Zu den Schiffen kommen Lkw und Züge hinzu. Trotz allem Wandel ist der Duisburger Hafen für die Stadt heute wichtiger denn je. Während Kohle und Stahl in der Region an Bedeutung verloren haben, wächst die Logistik beständig weiter. Container, deren Umschlagszahlen von Jahr zu Jahr steigen, ersetzen immer mehr Massengüter wie Kohle und Erze. Doch nicht nur bei den Speditionen und Reedereien verdienen Menschen ihren Lebensunterhalt mit dem Hafen und den Geländen fernab des Wassers, die sich der Konzern Duisport mittlerweile erschlossen hat.
Diese Menschen sind es, die dem Hafen ein Gesicht geben. Und inmitten des geschäftigen Betriebs weht auch immer noch ein Hauch Romantik durch den Duisburger Hafen, der eine ungebrochene Faszination ausstrahlt. Zu jeder Uhrzeit begegnen Besucher Schiffsführern, Pfarrern, Gastwirten oder Kranführern. Sie alle sorgen dafür, dass der Duisburger Hafen niemals stillsteht.
Hafenmeister Georg Quernhorst sitzt an seinem Schreibtisch im Pegelhaus. Seine Schicht hat gerade begonnen. Durch das große Fenster blickt er direkt auf den Vinckekanal. Dahinter reihen sich Hafenkanal, Ruhr und Rhein in die Landschaft ein. Schiffe ziehen unentwegt vorbei. Der Blick aus dem Pegelhaus vermittelt eine ruhe, die in starkem Kontrast zur Arbeit von Georg Quernhorst steht. Über das Funkgerät auf dem Schreibtisch melden sich die Schiffe im Duisburger Hafen an. „Wo kommen Sie her, wo geht es hin, was haben Sie geladen?“, fragt Quernhorst. Und wenn ein Schiff den Hafen verlässt, dann meldet es sich auch wieder ab. Anhand der Liegezeiten berechnet sich das Hafengeld.
„Wir stellen die Sicherheit und Ordnung im Hafen her“, sagt der 47-Jährige. Mit „wir“ meint er sich und seine Kollegen. Neben ihm gibt es noch vier weitere Hafenmeister, die das Kommen und Gehen im weltweit größten Binnenhafen managen. Sie arbeiten im Zweischicht-Betrieb. in der Nacht übernimmt eine Wach- und Alarmbereitschaft. Und während Georg Quernhorst im Pegelhaus seinen Dienst versieht, ist ein Kollege mit dem Hafenboot „Hakon“ unterwegs.
Manchmal nehmen die Hafenmeister auch das Auto. Bis nach rheinhausen oder Walsum, wofür sie auch zuständig sind, ist der Landweg schneller. Alle Informationen laufen im Pegelhaus zusammen. Parallel zu den knarzenden Stimmen aus dem Funkgerät – häufig mit niederländischem Akzent – klingelt auch das Telefon in einer Tour. Die Kollegen geben weitere Informationen durch. Und von Zeit zu Zeit schellt es dann noch unten an der Tür des Pegelhauses. Schiffer kommen, um Autoschlüssel abzuholen, die sie dort deponiert haben, oder um Guthaben für die Stromanschlüsse an den Liegeplätzen zu kaufen.
Bis zu den Kränen am Terminal der Firma Haeger & Schmidt international GmbH sind es knapp 20 Autominuten. Das Terminal liegt am Südhafen in Ruhrort. Abdelghani Boutahiri, den seine Kollegen nur „Abdul“ rufen, sitzt hier in 25 Meter Höhe in der Kabine des neuen Krans auf der Stahlinsel. Knapp vier Millionen Euro hat Haeger & Schmidt international Ende 2015 in den Kranneubau investiert.
Die Arbeit auf dem neuen Kran macht den 38-jährigen Kranführer stolz. Denn sein Unternehmen vertraut ihm diesen mit modernster Technik ausgestatteten Kran an. „Sobald ich dort oben sitze“, sagt er, „muss alles richtig laufen.“ Er trägt als Kranführer viel Verantwortung – für die Sicherheit seiner Kollegen am Boden, für die ordnungsgemäße Beladung und für den Erfolg des Unternehmens. Geld verdient Haeger & Schmidt international, wenn der Kran in Bewegung ist und effizient arbeitet. Lange Stillstandszeiten sollen nicht entstehen.
So hievt Abdelghani Boutahiri einen Stahlträger nach dem anderen vom Lagerplatz auf das Küstenmotorschiff. Das Schiff gehört zur Flotte der HSW Logistics, eines Beteiligungsunternehmens von Haeger & Schmidt international. Wenn es beladen ist, bringt es seine Fracht von Duisburg nach Norwegen. Beim Beladen bewegt Abdelghani Boutahiri den Kran auf der 200 Meter langen Kranschiene unermüdlich hin und her. Aufladen, abladen: ein ständiger Rhythmus, der begleitet wird vom monotonen Warnsignal, wenn der Kran sich in Bewegung setzt.
Toralph Tempel verlässt sein Büro, setzt sich einen Schutzhelm auf und läuft zum Hafen Ufer. Auf einer Helling liegt das Passagierschiff „Pirat“. es ist 1904 gebaut worden und damit ein Jahr jünger als die Triton- Werft. der 52-jährige arbeitet als Produktionsleiter bei dem Traditionsunternehmen aus Meiderich. sein aktueller Auftrag besteht darin, das Passagierschiff zu reparieren. der Besitzer will nämlich demnächst ein schwimmendes Restaurant eröffnen. doch zunächst müssen Toralph Tempel und seine Kollegen Schäden beseitigen. „der Unterboden ist porös. da sind ein paar Schweißarbeiten nötig“, erklärt der gelernte Schiffbauer, der kurz nach der jahrtausendwende aus Rostock nach Duisburg gezogen ist. Toralph Tempels Kollege Krzystof dobrowolski hockt derweil unter dem aufgebockten schiff. in seiner rechten Hand hält er ein schweißgerät, mit dem er über das Metall fährt. funken sprühen. Brandgeruch liegt in der Luft. dieser vermischt sich mit einer leicht muffigen Note. „der kommt von den Muschelablagerungen“, erklärt Toralph Tempel. „davon müssen wir das Schiff auch befreien.“ umbauten und Reparaturen bestimmen seinen arbeitsalltag an der Triton-Werft. dass ein Auftraggeber mal einen schiffsneubau bestimmt, kommt selten vor. „drei kleine und einen großen Tanker, dazu noch einen Schubleichter – das ist das, was wir in den vergangenen Jahren hier neu vom Stapel gelassen haben“, sagt Toralph Tempel. er strahlt: „das ist natürlich was Besonderes, wenn man sein eigenes Schiff auf dem Wasser sieht.“
Während in der Triton-Schiffswerft noch fleißig gearbeitet wird, ist für einige der Lkw Fahrer und Mitarbeiter der Firmen im Logport in rheinhausen die Mittagspause angebrochen. Die Imbissbude „Manus Treff“ ist seit zehn Jahren die erste Anlaufstelle für Trucker, Spediteure und Lagerarbeiter, wenn ihnen der Magen knurrt. die Gäste von Manuela Kahlke sind Menschen, die wohl nicht jeder dem Duisburger Hafen zuordnen würde. aber betrieben wird das Areal ebenfalls von der Duisport-gruppe. als Manuela Kahlke sich 2006 mit dem Imbiss selbstständig machte, gab es das Logport-gelände zwar schon einige Jahre, aber noch viele Flächen lagen brach. Über die Zeit konnte sie dabei zuschauen, wie eine Logistikhalle nach der anderen hochgezogen wurde. Zu den Menschen auf dem Logport hat sie deshalb ein besonderes Verhältnis. die meisten Kunden kennt sie mit Namen, sie kommen seit Jahren in ihren Imbiss. „Viele Fahrer melden sich bei mir ab“, sagt die 35-jährige, „wenn sie Urlaub machen oder im Fernverkehr unterwegs sind.“ familiär ist die atmosphäre in „Manus Treff“. auch ihren heutigen Lebensgefährten lernte sie dort kennen. „er hat hier jeden Tag seinen Kaffee geholt“, sagt sie. die beiden kamen ins Gespräch, lernten sich kennen und später lieben. aber auch wenn Straße und Schiene längst Teil des modernen Konzerns Duisport sind, ist der eigentliche Hafen für Manuela Kahlke weit weg.
Auf dem Weg zu einem Kundentermin macht Michael Krämer von den Stadtwerken kurz am Ruhrorter Pegelhaus halt. Ihn interessiert, ob die Binnenschiffer die sechs Steckdosen nutzen, die die Stadtwerke hier mit Strom versorgen. Am Kai haben mehrere Binnenschiffe festgemacht. Sie können über ein langes Stromkabel den sogenannten Landstrom beziehen. Damit versorgen die Schiffer während der Liegezeit ihr Bordnetz mit Strom und der Schiffsdiesel schweigt. Das schont nicht nur die Ohren, sondern auch die Umwelt, weil so keine Feinstaub- und CO2-Emissionen anfallen. Den Stromschlüssel mit 15, 25 oder 50 Euro Strom-Guthaben gibt’s beim Hafenmeister. Auch sonst kümmert sich Krämer darum, dass dem Hafen nicht die Energie ausgeht. Als Key-Account-Manager ist er seit zwei Jahren der kompetente Partner bei allen Fragen rund um das Thema Energie für duisport und weitere Kunden. So sind die Stadtwerke nicht nur Rahmenvertragspartner von duisport, wenn es um Energielieferungen geht, sondern sie versorgen auch zahlreiche andere Unternehmen auf dem Hafengelände mit Strom, Wasser und Erdgas. „Ein gutes Energiemanagement wird heute immer wichtiger“, weiß Krämer. So berät er zum Beispiel das Logport-Management und potenzielle Kunden, die sich im Hafengebiet ansiedeln wollen.
Unter all den Schiffen, die hier im Hafen unterwegs sind, ist eines der Logik des Marktes nicht unterworfen – das Kirchenboot „Johann Hinrich Wichern“. Mit ihm ist Pfarrer Frank Wessel auf den Binnenwasserstraßen im Gebiet der Evangelischen Kirche im Rheinland unterwegs. Er begleitet und besucht die Menschen an Bord der Schiffe. In der Regel fährt das Kirchenboot an vier Tagen in der Woche entlang der Häfen der Rheinschiene. Für rund 700 Kilometer Wasserstraßen ist der Binnenschifferdienst zuständig. Sie reichen von der niederländischen Grenze bis oberhalb von Koblenz im nördlichen Rheinland-Pfalz.
Das Boot ist eine schwimmende Kirche und ein Gemeindezentrum zugleich. So geht es bei den Fahrten stets um die Menschen, die einen Großteil ihres Lebens auf dem Wasser fern ihrer angestammten Heimat verbringen. Und wenn die „Johann Hinrich Wichern“ sich auf den Weg macht, dann weiß Frank Wessel nie, was ihn erwartet: „Den typischen Arbeitstag gibt es nicht“, sagt der 51-Jährige. „Wir fahren durch den Hafen und schauen, welche Schiffe da sind.“ Es geht darum, den Binnenschiffern und Seeleuten zu signalisieren, dass Frank Wessel für sie da ist, wenn sie ihn brauchen. Wenn jemand das Gespräch sucht, dann geht die „Johann Hinrich Wichern“ längsseits und Frank Wessel klettert an Bord. Das Kirchenboot hat dabei die Funktion eines Art Eisbrechers. „Man teilt die gleiche Lebenswirklichkeit“, sagt Frank Wessel.
Auch die Beamten der Wasserschutzpolizei in Duisburg kennen sich gut aus mit dem Leben der Menschen, die auf dem Fluss arbeiten. Bevor Markus Lauschner und Maik Holler ein Schiff kontrollieren, fragen sie bei der Leitstelle für die Wasserschutzpolizei mit dem treffenden Namen „Wiking“ nach, wann zu letzt Beamte an Bord waren. Es geht eben nicht darum, die Schiffer zu drangsalieren, sondern darum für Sicherheit zu sorgen.
Das wissen auch die Besatzungen der Tanker, Containerschiffe und Schubverbände. „Das menschliche Miteinander ist sehr nett“, sagt Maik Holler. Sein Kollege Markus Lauschner nickt und fügt hinzu: „Wenn sie etwas falsch gemacht haben, dann wissen sie das auch und sagen es uns meist, sobald wir an Bord gehen.“ Viele Schiffer kennen die beiden Beamten schon lange. Auf den Wasserstraßen begegnet man sich immer wieder.
So lässt sich die Atmosphäre bei der Kontrolle eines Schiffes auch nicht mit den Autokontrollen auf der Straße vergleichen. Das zeigt sich, als Markus Lauschner vom Polizeischiff auf einen Tanker hinüberklettert. Der niederländische Schiffsführer grinst freundlich zur Begrüßung. Er scheint sich zu freuen, Besuch zu bekommen, während er sein Schiff weiter über den Rhein steuert. Die Fahrt unterbricht er nicht für die Kontrolle. Markus Lauschner überprüft die Papiere, nimmt das Schiff in Augen schein und sagt: „Alles okay. Bis zum nächsten Mal.“ Dann geht er wieder von Bord.
Die Wasserschutzpolizei ist noch auf Patrouille im Hafen. Unterdessen liegt die „Smalstrans“ bereits im Werkshafen der Hüttenwerke Krupp Mannesmann (HKM). Kohle und Erz hat der Schubverband der Logistikfirma imperial Logistics international geladen. Welche Rohstoffe die Kräne links und rechts des Hafenbeckens löschen, geben Hochöfen und Kokerei vor. Deren Hunger nach Erz und Kohle bestimmt die Wartezeit für den Schiffsführer Tim Lewalter. Das Hafenschubboot holt nach und nach die Leichter ab. Das sind die schwimmenden Ladungsbehälter, die die „Smalstrans“ von Rotterdam nach Duisburg gebracht hat. Den Duisburger Hafen sieht der 27-jährige Tim Lewalter nur vom Schiff aus, wenn der Schubverband auf dem Weg zum Stahlwerk daran vorbeifährt. Auf der „Smalstrans“ herrscht Nonstop-Betrieb. ist die Ladung gelöscht, dann geht es mit leeren Leichtern wieder zurück nach Rotterdam. Ein ewiger Rhythmus, dem auch das Leben der Binnenschiffer unterworfen ist.
Für die Besatzung ist die „Smalstrans“ während ihrer 14-tägigen reise der Lebensmittelpunkt. Danach haben die Schiffer zwei Wochen frei, bevor es wieder auf Fahrt geht. „Das Schiff ist deswegen schon irgendwie ein Stück von einem selbst“, sagt Tim Lewalter. Zeit für einen Besuch in einer Hafenkneipe bleibt übrigens nicht für die Besatzung der „Smalstrans“. „Wir verdienen nur Geld, wenn wir fahren“, sagt Tim Lewalter. So ist die „Smalstrans“ schon wieder auf dem Weg nach Rotterdam, während an der Theke von Dirk Hübertz' Hafenkneipe „Zum Hübi“ die Stammgäste ihr kühles König Pilsener genießen. Schiffer und Seeleute lassen sich allerdings immer seltener dort blicken. Sie schauen höchstens für ein bis zwei Feierabendbierchen rein. Dennoch: Dirk Hübertz' Gaststätte ist die wohl letzte richtige Hafenkneipe.
Vom Fenster aus blicken die Gäste auf das Museumsschiff „oscar Huber“ – den letzten erhaltenen Raddampfer auf dem Rhein. Das Museum der Deutschen Binnenschifffahrt, zu dem das in den 1920er Jahren gebaute Schiff gehört, liegt nur 15 Gehminuten entfernt. Und am Ruhrufer auf der anderen Seite in Kasslerfeld leuchtet das rheinorange in der Dunkelheit. Das ist das heutige Bild. Wer erahnen will, wie es früher aussah, der muss sich im „Hübi“ nur zur gegenüberliegenden Wand umdrehen. Auf einer Fototapete ist zu sehen, welches Panorama die Gaststätte einmal bot, als auf der Speditionsinsel noch die großen Kräne standen. „Heute ist es nicht mehr so wie früher“, sagt Dirk Hübertz. Anstelle von Schiffern und Seeleuten kommen Touristen und Ausflügler in die Kneipe – und natürlich die Ruhrorter. „Ruhrort ist ein Dorf“, sagt der 50-Jährige, „hier kennt sich jeder.“ Als er 1997 seinen Laden eröffnete, war die Zeit der typischen Hafenkneipen schon vorbei. Sie kennt er nur von seinen Eltern, die auch ein Lokal in Ruhrort hatten. Heute ist Dirk Hübertz der einzige Gastronom am Wasser in Ruhrort. Er wünscht sich, dass dort noch andere ihre Zelte aufschlagen. ob er sich selbst als Teil des Hafens sieht? „Ja“, sagt er. Und wenn er die Türen zu seiner Kneipe schließt, dann ist es ruhig im Hafen, aber noch längst nicht still geworden. Denn der Duisburger Hafen schläft nie. Noch immer ziehen Schiffe auf dem Rhein dahin.