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Weltmeister der Lüfte

Wilhelm Eimers brüllt gegen das fau­chende Zischen des Brenners an. „Einstei­gen, es geht los“, ruft er. Die Seile ziehen straff an. Sie verbinden Ballon und Korb. Die große Hülle füllt sich immer mehr mit hei­ßer Luft. Jeden Moment hebt der Ballon ab. Am Boden hält ihn nur noch ein rotes Seil, das am Auto für den Transport festgebun­den ist. Die Passagiere schwingen sich in den Korb. Es muss schnell gehen. Das hei­ße Gasgemisch aus Sauerstoff und Stick­stoff drängt nach oben. Durch die Hitze des Brenners ist es leichter als die übrige Luft um den Ballon herum. Eimers Sohn Benja­min löst das Seil. Er macht an diesem Tag die Bodencrew. Der Ballon hebt ab. Wilhelm Eimers nimmt öfters Gäste zu seinen Bal­lonfahrten mit. Ein Geschäft ist es für ihn nicht. Das Ballonfahren ist für ihn ein Sport. Ein Sport, in dem er seit Jahren zu den weltweit Erfolgreichsten und Erfahrensten gehört. Im Guinnessbuch der Rekorde hat er sich mehrfach verewigt.

Weltmeisterschaft in Deutschland

Wilhelm Eimers gewann 2014 den Gor­don-Bennett-Gasballonwettbewerb. „Das ist die Tour de France der Ballonfahrer“, sagt er zum Vergleich. Dieser Vergleich, den er anführt, ist auch wichtig, um zu verste­hen, welchen Stellenwert der Wettbewerb in der internationalen Ballonfahrer-Familie hat. Das Rennen rief der Amerikaner James Gordon Bennett ins Leben. Er war der Verleger der Zeitung New York Herald. Zum ers­ten Mal starteten 1906 in Paris die Piloten beim Gordon-Bennett-Cup. Parallel zu den Ballonen lieferten sich auch Automobile und Segelschiffe ein Rennen. Sieger bei dem Ballonwettbewerb ist, wer die weites­te Strecke vom Startpunkt aus zurücklegt. Von der Pferderennbahn im französischen Vichy schaffte Wilhelm Eimers gemein­sam mit seinem Copiloten Matthias Zenge 1410,64 Kilometer in 60 Stunden und 30 Minuten. Das Team landete dann auf Sizili­en. Als sie auf der italienischen Mittelmeer­insel aufsetzten, waren sie Weltmeister im Langstreckenballonfahren. Es war das vierte Mal, dass Wilhelm Eimers diesen Ti­tel holte. Deswegen startet der Wettbewerb 2016 auch in Gladbeck. Von dem dortigen Ballonsportplatz des Niederrheinischen Vereins für Luftschifffahrt 1902 e. V. treten die Gasballone ihr Wettrennen an. Wilhelm Eimers Touren mit dem Gasballon haben immer ihren Ausgangspunkt auf dem Ver­bandsstartplatz seines Vereins. Dort ist ein fester Gasanschluss für den Ballon instal­liert.

Heißluft- statt Gaßballon

Im Unterschied zu den birnenförmigen Heißluftballonen sind die Gasballone ku­gelrund und mit rund 1000 Kubikmeter Wasserstoff oder Helium gefüllt. Sie kön­nen länger am Himmel bleiben als ihre heißluftigen Kollegen. Der Heißluftballon bleibt indes nur so lange in der Luft, bis der Gasvorrat für den Brenner aufgebraucht ist. Dafür sind Heißluftballone mobiler: auf­bauen, abbauen, fertig. Deswegen ist es an diesem Morgen auch kein Gasballon, der Wilhelm Eimers und seine Gäste durch die Luft trägt. Der Wind hätte den Ballon von Gladbeck aus ins Münsterland getrieben. Und vom heutigen Startpunkt in Wachten­donk bewegt er sich nun ganz gemächlich in Richtung Duisburg – dem Ziel der Fahrt.

Mit 30 Stundenkilometern unterwegs

So bleibt für die Strecke Wachtendonk-Duisburg nur etwa eine Stunde Zeit. Die Sonne steht am Horizont. Sie klettert im­mer höher, während der Ballon zwischen 50 und 80 Metern über der Erde schwebt.

In dieser Höhe ist die Luftströmung perfekt. Mit zirka 30 Stundenkilometern nimmt Ei­mers Kurs auf das Ziel. In welche Richtung der Ballon fährt, das kann er nur bedingt beeinflussen. „Vorher wissen wir nie genau, wo wir später landen werden“, erklärt er. Das Ungewisse ist es auch, das für ihn den Reiz am Ballonsport ausmacht. „Es ist weit weg vom normalen Alltag“, sagt er.

Die Welt unter sich sieht der Pilot von oben mit ganz anderen Augen. Die Landschaft, die sich am Boden flach dahinzieht, über­blickt der Ballonfahrer. Unter dem Korb erstreckt sich der Niederrhein – Kempen, Kerken, Hüls und andere Orte. Der Ballon wirft einen langen Schatten auf Waldstücke und Felder. Am Horizont erscheinen schon die Botschafter des nahen Ruhrgebiets in Duisburg. Die Türme und großen Indus­trieanalagen der Stahlwerke sind gut in der Landschaft auszumachen. Der Strukturwandel hat nichts daran geändert, dass die Hüttenwerke Krupp Mannesmann im Süden der Stadt und „ThyssenKrupp Stahl„ im Norden unverwechselbare Landmarken sind. Dazwischen liegt die Innenstadt, de­ren kleine Skyline deutlich zu erkennen ist.

Vorbereitung und wenig Schlaf

So unvorhersehbar scheint eine Ballonfahrt gar nicht zu sein – zumindest nicht, wenn Wilhelm Eimers dabei ist. Bis spät in die Nacht hat er die Wetterdaten ausgewertet und die Tour geplant. Zwei Stunden Schlaf gönnte er sich, bevor er, sein Sohn und der Heißluftballon auf dem Hänger die Einfahrt vor dem Wohnhaus im Duisburger Stadtteil Baerl verließen. „Dass ich vor einer Fahrt wenig Schlaf bekomme, das macht mir nichts aus“, sagt Eimers. Bei Wettkämpfen sieht er sein Bett oft mehrere Tage nicht. „Danach kann ich aber auch ein bis zwei Tage durchschlafen“, gesteht er. Während einer Fahrt denkt er aber nicht an Schlaf. Er muss sich konzentrieren. Die Gedanken sind auf die Aufgabe fokussiert. Zu wissen, wie Wind und Wetter sich entwickeln, das gehört zur Vorbereitung. Das ist die Theo­rie. In der Praxis gilt es, Vorbereitung und Erfahrung zu nutzen, um den Ballon im Zu­sammenspiel mit dem Wind zu manövrie­ren. Dadurch, dass er den Brenner betätigt oder heiße Luft aus dem Ballon entweichen lässt, navigiert Wilhelm Eimers. Er nutzt die unterschiedlichen Luftströmungen in den verschiedenen Höhenlagen aus.

Dass die Sonne im Osten aufgeht, macht es schwierig. Stromleitungen, Hausdächer und Baumwipfel lassen sich im Gegenlicht schwerer ausmachen. Sie sind Gefahren für den Ballon. „Darum fahre ich ungern gegen die Sonne“, erklärt Eimers. Aber Duisburg liegt nun mal im Osten, von Wachtendonk aus gesehen.

Himmlische Ruhe

Trotz der geringen Höhe steuert Wilhelm Eimers den Ballon mühelos über jedes Hin­dernis hinweg. Kurz oder mal lang zischt der Brenner. Der Ballon steigt. Die Gesprä­che im Korb ebben für einen Moment ab. „Über den Brenner hinwegzubrüllen, das hat eher wenig Sinn“, sagt er. „Das ist auch das Schöne am Gasballon, da herrscht während der ganzen Fahrt Ruhe.“ Am Him­mel ist es ruhig und es bleibt Zeit für Ge­spräche. Über „Gott und die Welt“ lasse sich in einem Ballonkorb plaudern, sagt Eimers. Dann zieht er an einem Seil. Heiße Luft strömt aus der Hülle. Der Ballon sinkt. Ab und zu wirft er einen Blick auf die Instru­mente. „61 Grad“, sagt er, „das passt, so kommen wir direkt nach Duisburg.“ Wie der 65-Jährige den Ballon lenkt, wirkt es kinderleicht. Aber hier sind mehr als 40 Jahre Erfahrung als Pilot im Spiel. Seine erste Fahrt machte Wilhelm Eimers 1971. Damals tauften ihn die anderen Piloten auf den Namen Wilhelm Graf von Seppenrade. Den Stadtteil der münsterländischen Stadt Lüdinghausen im Kreis Coesfeld überflog er damals. Die aeronautische Taufe hat Tradi­tion in der Ballonfahrer-Gemeinschaft. Wer danach „fliegen“ statt „fahren“ sagt, der muss der Crew eine Runde Getränke spen­dieren. Das passiert Wilhelm Eimers aber nicht. Eher weist er seine Gäste dezent auf diese sprachlichen Feinheiten hin.

Vom Ballonfahrer-Fieber gepackt

Das Ballonfahrer-Fieber packte ihn aber schon, bevor er das erste Mal am Himmel schwebte. Im Sommer 1964 war er mit seinen Freunden in der Ruhr schwimmen. An der Aakerfährbrücke, die die Stadtteile Duissern und Meiderich verbindet, trafen sich die Jungs. Ein Düsseldorfer Ballonfah­rer landete an diesem Tag auf der Brücke. Die Freunde eilten hin. Der Ballon war eine Attraktion. Alle stellten sich an, um einmal in den Korb steigen zu dürfen. Die Aus­nahme machte der junge Wilhelm Eimers: „Ich war der Einzige, der sich gleich zwei Mal anstellte.“ Den Ballonfahrer, der ihn so begeisterte, traf er etliche Jahre später bei einem Wettbewerb wieder.

Bis heute hat Wilhelm Eimers mehr als 1000 Fahrten mit dem Gasballon absol­viert. Rund 1300 Fahrten absolvierte er mit dem Heißluftballon. Neben ihm gibt es nur einen einzigen lebenden Menschen, der auf diese Zahl kommt. Nicht umsonst hat ihn schon so manche Tageszeitung als den er­fahrensten Ballonfahrer der Welt bezeich­net. Daher mischt sich auch etwas Wehmut in Wilhelm Eimers Stimme, wenn er über die Zukunft seines Sports spricht. Längst kommen nicht mehr die Menschenmassen zu den Weltmeistermeisterschaften, wie es noch 1930 in Münster der Fall war. Die große Zeit der Luftfahrt, so scheint es, ge­hört der Vergangenheit an. Die Abenteurer, die den Himmel erobern, sterben aus. „Die Jugend hat die Mondlandung nicht mehr selbst erlebt“, erklärt sich Eimers die Ent­wicklung. „Für sie ist Fliegen heute ganz normal und eher lästig als spannend.“

80 Gasballone gibt es weltweit

Weltweit gibt es deswegen laut Eimers nur noch 80 Gasballone und 10.000 Heißluft­ballone – Tendenz sinkend. Auch die Auf­lagen sind seit dem 11. September 2001 – dem Tag des World-Trade-Center-An­schlags – strenger geworden. Nachtfahrten muss der Pilot mittlerweile anmelden. Aber im Hause Eimers ist längst für den Ballon­fahrer-Nachwuchs gesorgt. Der 30-jährige Benjamin Eimers tritt seit einigen Jahren in die Fußstapfen seines Vaters. Mit 1025 Kilometern hat er unter anderem den deut­schen Rekord im Langstreckenflug mit ei­nem Heißluftballon aufgestellt. 2012 stellte Benjamin Eimers mit einem Gasballon ei­nen neuen deutschen Höhenrekord auf. Bis in eine Höhe von 7020 Metern schaffte er es. Auf diese Höhe bringt es der Ballon die­ses Mal nicht. Bei 500 Metern ist Schluss. Ohnehin benötigen die Piloten bei mehr als 7000 Metern Höhe Sauerstoff. Für seine heutige Aufgabe benötigt der einst jüngste deutsche Ballonfahrer aber nur den Füh­rerschein der Klasse B. Benjamin Eimers verfolgt mit dem Auto den Ballon und bleibt ihm dicht auf den Fersen. Ballonfahren ist ein Teamsport. Das ist Arbeitsteilung. Ohne die Bodencrew würde der Sport nicht funk­tionieren. Denn einer muss den Ballon und seine Passagiere dort einsammeln, wo er landet.

Landung auf dem Kartoffelacker

Kurz vor dem Rhein in Baerl ist die Fahrt vorbei. Wilhelm Eimers geht in den Sinkflug. Über den Fluss will er nicht. Das Risiko wäre zu groß. Er müsste direkt nach der Über­querung am Rheinufer landen. Danach ver­sperren bereits Industriegebäude den Weg. Und was ist, wenn ein Schiff kommt oder die Strömung des Flusses den Ballon abtreibt? Fragen, die sich Wilhelm Eimers stellt. Run­ter geht es daher im Binsheimer Feld – auf dem Acker eines Bauern. „Sicherheit geht immer vor“, sagt er. Beim Gordon-Ben­nett-Cup entschied er sich aber, über das Wasser zu fliegen. Vier seiner 17 Kontra­henten gingen bereits auf dem italieni­schen Festland zu Boden. Über Sizilien wa­ren starke Sturmböen zu erwarten. Und der Kurs brachte seinen Ballon zunächst etwas zu weit westlich an der Insel vorbei. „Wir ha­ben dann noch die Kurve bekommen“, sagt Eimers. Aber bei dem Wettbewerb ging es schließlich um den Weltmeistertitel.

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