Eine Sternenkneipe für Duisburg
Ein Sternerestaurant? Das wird in Duisburg nicht funktionieren. So wurde es Sven Nöthel prophezeit, als er damit anfing, einen alten Pferdestall in Baerl zum Gastronomiebetrieb umzubauen. Längst hat der Koch das Gegenteil bewiesen: Gute zweieinhalb Jahre nach der Eröffnung ist das Mod an den Wochenenden noch immer Monate im Voraus ausgebucht.
Gemütliche Wohnzimmeratmosphäre
Vielleicht macht es einen Teil des Erfolgs aus, dass Duisburgs einziges Restaurant, das mit einem der begehrten Michelin- Sterne ausgezeichnet ist, genauso unprätentiös daherkommt wie sein Betreiber. Statt mit weißen Tischtüchern und Kerzenschein speist man hier in gemütlicher Wohnzimmeratmosphäre, die offene Küche ist Teil des Gastraums. Nebenbei wird mit den Köchen geplaudert, die das Essen auch gleich selbst zum Tisch bringen. Natürlich per Du. „Wir sind eher eine Sternekneipe“, sagt Chef Sven Nöthel. „Bei uns ist es laut, bei uns ist es lustig. Bei uns geht’s ums Essen und Trinken – und das wird nicht besser, wenn die Gäste im Anzug kommen oder gesiezt werden.“
Auf der Speisekarte stehen Forelle und Saibling statt Hummer und Kaviar, Pfifferlinge anstelle von Trüffeln. Steckrüben, Gurken, Radieschen, auch mal Sauerbraten finden sich im Acht-Gänge-Menü. „Wir kochen sehr bodenständig, nehmen die Produkte, die jeder kaufen kann, und machen daraus etwas Besonderes“, erklärt der Küchenchef die Philosophie. Sein Gemüse bezieht das Mod aus Weeze, das Fleisch aus Neukirchen-Vluyn. Auf dem drei Hektar großen Grundstück rund um den alten Hof in Baerl will Sven Nöthel bald Frisches aus eigenen Gewächshäusern ernten.
Regionalität, die Wertschätzung von Produkten, aber auch eine gewisse Langsamkeit schwingen da mit. „Eine Rinderroulade kann ich in anderthalb oder in fünf Stunden machen“, sagt Nöthel. „Zeit ist der wesentliche Faktor beim Kochen.“ Für den Profi fängt das schon beim Einkaufen an und hört mit Musik und einem Glas Wein am Herd noch lange nicht auf. „Man muss sich auch mit dem auseinandersetzen, was man mag. Zum Thema Essen und Trinken hat schließlich jeder eine Meinung – auch eine Bratkartoffel kann dich glücklich machen. Das ist es, was Kochen ausmacht“, ist er überzeugt. Die monatlichen Kochkurse, die der Chef meist selbst leitet, sind innerhalb kürzester Zeit fürs ganze Jahr ausgebucht.
Passt wie Deckel auf Topf
Duisburg und der Sternekoch scheinen sich gesucht und gefunden zu haben. Dabei ist der 36-Jährige eher zufällig hier gelandet: Der Kontakt zu den Gastronomen, die vorher die Location betrieben, entstand durch die Hochzeitsfeier einer Freundin. Aber die Gratwanderung zwischen dem naturverbundenen Niederrhein und der Metropolregion Ruhrgebiet hat es dem Familienvater angetan. Mittlerweile fühlt er sich nicht nur als Duisburger, „wir haben auch mitbekommen, dass die Stadt durchaus stolz auf uns ist“, sagt er. Und das schlägt sich auch in der Zusammensetzung der Gäste nieder: Etwa die Hälfte der Restaurantbesucher kommt aus dem Stadtgebiet, viele davon immer wieder. Was Sven Nöthel selbst stolz macht, hat er auf den Unterarm tätowiert: die Herzschläge seiner beiden Söhne und den Michelin-Stern, der ihn mit nur 27 Jahren zu Nordrhein-Westfalens jüngstem (und Deutschlands zweitjüngstem) Sternekoch machte.
„Auch eine Bratkartoffel kann dich glücklich machen. Das ist es, was Kochen ausmacht.“
Der gebürtige Mülheimer ist in der Küche groß geworden – und ehrgeizig. Im Düsseldorfer Hummerstübchen kochte sein Vater schon für Gorbatschow und die Queen. Seine Ausbildung machte er im Restaurant seiner Mutter in Mülheim, nachdem er, der ehemalige Profitennisspieler, gemerkt hatte, dass er sich auch als Koch mit anderen messen und Auszeichnungen erlangen kann. Das Mod, was auf Schwedisch übrigens „Mut“ bedeutet, und das Restaurant Freya gleich nebenan hat er selbst aufgebaut. „Hier gibt es keinen Sponsor, keinen Investor. Wir sind frei, locker und entspannt“, sagt Nöthel. „Wir können spielen.“
Kreatives Kochen
Und das machen der 36-Jährige und seine fünf Köche ausgiebig. Sechs bis acht Wochen, manchmal sechs Monate Zeit nimmt sich das Team, um neue Gerichte zu optimieren, bevor sie auf die Speisekarte kommen. „Wir versuchen, uns mit unseren Gerichten auseinanderzusetzen, sind intellektueller auf dem Teller“, meint Nöthel. „Am Ende sorgt die Kreativität für das Aha-Erlebnis. Ich finde Provokation gut oder, wenn Essen solide ist, so richtig lecker, dass man mehr davon will. Schlimm ist es, wenn ein Gang einfach so durchgeht. Wir wollen erreichen, dass sich jemand auch in zwei Jahren noch an diesen einen Gang erinnert.“