Das große Reinemachen
Briefmarken, Modelleisenbahnen, Parfumflakons: Beliebte Sammelobjekte gibt es viele. Ingrid Wandelenus sammelt Müll, und das schon seit mehr als zwanzig Jahren. Die 62-Jährige ist die Geschäftsführerin der Offensive für ein Sauberes Duisburg e. V., eine Müllsammlerin von Berufs wegen.
Wie viel Unrat Ingrid Wandelenus in all den Jahren vom Boden aufgeklaubt hat, kann sie gar nicht beziffern. Trinkpäckchenkartons, Plastikkanister, Einkaufswagen, Haushaltsgeräte. Auf jeden Fall säckeweise Kippen – mit Abstand das größte Müllproblem. Beim Spaziergang zeigt sie auf die Zigarettenstummel an einer Böschung, Plastik am Rhein. „Es ist eine Berufskrankheit“, sagt sie. „Ich sehe den Müll einfach immer. Ich gucke auch in Mülltonnen rein.“
Über 900 Sammelaktionen
Warum andere wegwerfen, was sie sammelt, ist ihr ein Rätsel. „Ich habe schon als Kind gelernt, dass das Bonbonpapier in die Anoraktasche und nicht auf den Boden gehört“, erzählt sie. „Auch Haushaltsware wird bei unseren Sammelaktionen immer gefunden. Das verstehe ich einfach nicht: Wir haben doch unsere Recyclinghöfe, aber die Leute laden das lieber irgendwo in der Prärie ab.“
Allein im vergangenen Jahr hat die Offensive für ein Sauberes Duisburg, finanziert durch Sponsoren und die Beiträge ihrer rund 100 Mitglieder, weit über 900 Müllsammelaktionen im Stadtgebiet koordiniert. Insgesamt 87 Tonnen Abfall türmten sich am Ende in den Containern, 6.250 Müllsäcke wurden gefüllt – vor Corona waren es sogar dreimal so viele. Bürger- und Sportvereine, Schulklassen und Kindergärten sind meist die „Wiederholungstäter“, wie Ingrid Wandelenus sie nennt, die bei dem gemeinnützigen Verein ihre eigenen Reinigungsaktionen von Stadtteilen, Straßen oder Naherholungsgebieten anmelden und so die Arbeit der städtischen Entsorgungsunternehmen unterstützen. Die Offensive versorgt die freiwilligen Sammler mit Handschuhen, Müllsäcken, Greifzangen und kümmert sich anschließend darum, dass der Müll von den Wirtschaftsbetrieben abgeholt und entsorgt wird.
Auf Schatzsuche
Für Erwachsene sei es oft eine Überwindung, den Dreck anderer Leute wegzuräumen. „Aber Kinder sind richtig euphorisch“, weiß Ingrid Wandelenus aus Erfahrung. Das gemeinsame Saubermachen stärke nicht nur das Gemeinschaftsgefühl und das Umweltbewusstsein der jungen Teilnehmer, manch eine Anekdote erinnert beinahe an eine abenteuerliche Schatzsuche. Einmal hätten die Kinder einen ganzen Sack Schmuck im Gebüsch gefunden, die Polizei alarmiert und sichtlich aufgeregt an der anschließenden Befragung teilgenommen. Ein anderes Mal stießen sie auf alte Ausweise und auf ein völlig von Moos überdecktes, aber brandneues Paar Schuhe – das regt die Fantasie an.
„Wir haben doch unsere Recyclinghöfe, aber die Leute laden das lieber irgendwo in der Prärie ab.“
„Aber auch unter Jugendlichen ist das Bedürfnis inzwischen groß, etwas für die Umwelt zu tun“, freut sich die Geschäftsführerin des 1999 gegründeten Vereins – vor allem, weil ein Ende des Müllproblems nicht in Sicht ist. „Über die Jahre ist es sogar eher mehr Müll geworden.“ Und der sieht nicht nur unschön aus: Eine einzige achtlos weggeworfene Zigarettenkippe kann bis zu 40 Liter Grundwasser verseuchen, Essensreste locken wilde Tiere an, letztlich können verunreinigte Grünflächen und wilde Müllkippen einen Imageverlust für eine ganze Stadt bedeuten und deren Bürger durch Gebührenerhöhungen für die Müllentsorgung auch finanziell treffen.
Sogenannte Brennpunkte gibt es in Duisburg viele: Es sind nicht ganze Stadtteile, eher Freizeitareale. Im Sommer hinterlassen Ausflügler ihren Unrat an der Sechs-Seen-Platte, im Umkreis jeder McDonald’s-Filiale mit Drive-in liegen braune Papiertüten und Trinkbecher verstreut. „Besonders Bereiche, wo man mit dem Auto direkt hinfahren und vielleicht picknicken kann, sind betroffen“, hat Ingrid Wandelenus beobachtet. „Und wo einmal Müll liegt, kommt immer mehr dazu.“
Natürlich spült auch der Rhein viel Plastik und anderen Dreck ans Ufer. Im kommenden September organisiert die Offensive deshalb schon zum vierten Mal in Folge den Rhine- Cleanup in Duisburg, ein länderübergreifender Aktionstag, an dem Bürger aus Dutzenden Kommunen von der Quelle bis zur Mündung Abfälle entlang des Rheinufers einsammeln. Müllsäcke reichen da nicht aus, fürs große Reinemachen stellt der Verein extra Container auf. „Es sind Tonnen, die da zusammenkommen“, berichtet die Geschäftsführerin, die bei so großen Veranstaltungen auch immer noch selbst zur Müllzange greift.
Mehr Eigenverantwortung
Privat sammelt Ingrid Wandelenus zwar keinen Müll, aber so ganz kann sie ihre Leidenschaft für eine saubere Umwelt auch jenseits des Jobs nicht ablegen. „Wenn jemand Müll einfach wegwirft, tippe ich den Leuten auch auf der Königstraße auf die Schulter und sage: Sie haben da was verloren“, erzählt sie und lacht. „Meine Familie sagt schon, irgendwann komme ich mal mit einem blauen Auge nach Hause.“ Dabei könnte es doch so einfach sein: Alles, was Ingrid Wandelenus sich wünscht, ist ein bisschen mehr Eigenverantwortung. „Ich möchte, dass sich die Leute verantwortlich fühlen für ihren Stadtteil, denn wer wohnt schon gerne in einer dreckigen Stadt?“