Meister Eder mal modern
Das Jahr 1883 hatte es in sich: In Berlin führte der Reichstag die Krankenversicherungspflicht ein, am Pariser Ostbahnhof machte sich der legendäre Orient-Express erstmals auf die Reise, in New York wurde die heute weltberühmte Brooklyn Bridge eröffnet. Und in Duisburg gründete der Tischler Carl Gerber ein Unternehmen, dessen Namen man heute genauso in Moskau wie in Doha kennt – und der in manchen Kreisen ein Synonym für puren Luxus ist.
Jener Carl Gerber ist der Ururgroßvater von Karl-Heinz Gerber junior, der die Tischlerei Gerber gemeinsam mit seinem Vater inzwischen in fünfter Generation führt. Heute werden hier innovative Designkonzepte entworfen, die mit Hightech-Maschinen realisiert und im schicken Showroom ausgestellt werden, bevor sie ihre Reise nach Australien oder Russland, nach Asien oder in die USA antreten. Im Jahr vor Corona erwirtschafteten die rund 40 Mitarbeiter des Familienunternehmens 4,2 Millionen Euro Umsatz.
Eine Tischler-Dynastie
So gibt es auf den ersten Blick keine Gemeinsamkeiten mehr mit der ursprünglichen Ein-Mann-Schreinerei im Meister-Eder-Look, stilecht mit Pferd und Zugwagen. Doch hinter den alten Schwarz- Weiß-Fotos an den Wänden der Firmenzentrale in Kaßlerfeld steckt mehr als reine Nostalgie: Die Tischler-Dynastie ist stolz auf ihr traditionelles Handwerk. Großvater Gerber, der das Unternehmen nach dem Zweiten Weltkrieg wieder aufgebaut und damit auch ein Stück weit Wiederaufbau in Duisburg geleistet hat, bekam noch den Diamantenen Meisterbrief für seine 60 Berufsjahre. Sein Sohn, der heutige Senior, hat es schon zur Gold-Variante geschafft und die Rente ist immer noch nicht in Sicht.
In der Maschinenhalle erinnern die kleinen Tischfräsen zwischen modernem Hightech noch an alte Zeiten: Früher musste hier der ein oder andere Finger herausgefischt werden, doch solche Arbeitsunfälle sind heute selten. Nebenan im Bankraum stehen lange Tische, die Oberflächen eingekerbt und abgesplittert. „Eigentlich sind das nur noch Ablageflächen“, sagt der Junior, der seine Tischlerlehre vor dem Studium zum Diplom-Kaufmann gemacht hat, und lacht. „Aber ein Tischler ohne Hobelbank, das geht einfach nicht.“
„Als Kind hatte ich einen Roller, mit dem ich durch die Messehallen geflitzt bin.“
Auf dem Boden liegt feiner Staub, es riecht nach Holz, an Pinnwänden hängen großformatige Zeichnungen, die man eher in einem Architektur- oder Designbüro vermuten würde. Hier wird per Hand montiert, was die schweren Maschinen zuvor aus großen Platten lautstark zugeschnitten, gebohrt, gefräst haben: Das private Herrenzimmer aus Eiche nimmt Gestalt an, hinter einer Trennwand entstehen die Möbel für eine Lounge in Moskau, die in der hauseigenen Lackiererei ihren letzten Schliff bekommen werden.
Ein vielfältiges Handwerk
1957 Budapest, 1965 Moskau, 1989 Peking – schon zu Großvaters Zeiten fertigte die Tischlerei Gerber nicht nur das Mobiliar für das Duisburger Rathaus, das Messegeschäft hatte den internationalen Durchbruch gebracht. „Als Kind hatte ich einen Roller, mit dem ich durch die Messehallen geflitzt bin“, erinnert sich Karl-Heinz Gerber junior, für den der Einstieg ins Familienunternehmen eine Herzensangelegenheit war. Inzwischen ist das Handwerk vielfältiger geworden. Zum Holz haben sich Kunststoff e wie das schwer zu verarbeitende Corian, das zum Beispiel bei den Bänken vor der Mercatorhalle verwendet wurde, und andere Materialien gesellt.
Man spricht von Projekten aus individueller Fertigung, nicht über einfache Produkte. Schließlich reicht die Angebotspalette der Duisburger heute vom – coronabedingt stark eingebrochenen – Messe- und Ladenbau über den hochwertigen Innenausbau und Büroeinrichtungen bis zum individuellen Möbel- und Küchenbau für Privatkunden.
Weltweit, insbesondere aber in Duisburg hat die Firma schon viele Duftnoten gesetzt, unter anderem im Forum, im City Palais und in der Zentralbibliothek, in Banken und Krankenhäusern. Ob Hotel, Arztpraxis oder Bürogebäude – „wir machen vom Fußboden bis zur Decke alles, von der Wandverkleidung bis zum Mobiliar“, sagt der Juniorchef. „Und wir bringen den Geschmack gleich mit.“ Bei Holzarbeiten spielt neben dem Design besonders das Furnier eine entscheidende Rolle für die Optik. In hohen Regalen lagern die pappdünnen, meterlangen Holzfurniere, die zur Veredelung auf Trägermaterialien wie MDF oder Tischlerplatten gepresst werden. Afromosia, Sen-Esche, Zirikote: Jeder Baum hat seine eigene Färbung und – noch wichtiger – eine ganz individuelle Maserung.
„In unseren Bäumen haben Granatsplitter, Pilze, Würmer oder Spechte ihre Spuren hinterlassen – es ist eben echtes Holz“, sagt Karl-Heinz Gerber und streicht fast liebevoll über ein Furnier. „Manchmal ist die Maserung sehr wild, da sind wir die Gestalter.“ Was der 51-Jährige damit meint, zeigt er auf seinem Handy. Dutzende Produktfotos sind in der Galerie gespeichert.
„Mittlerweile gibt es Ausschreibungen in der arabischen Welt, bei denen speziell ein Gerber-Humidor gefordert wird. Das ist für uns ein Ritterschlag.“
Mal läuft der dunkle Baumkern, umgeben von hellem Splint, fast speerförmig zu, mal entsteht ein Streifenmuster oder schwarzgraue Linien fügen sich auf sandfarbenem Grund zu einem vielfach gefüllten Quadrat. „Das Furnier zusammenzulegen, sodass ein schönes Bild entsteht, ist eine Kunst für sich“, weiß Gerber. Und echte Handarbeit.
Kunstwerke aus Holz
Kein Arbeitsschritt kann ausgelassen, kein Handgriff beschleunigt werden. So entstehen aus dem Holz wahre Kunstwerke – vor allem unter den Humidoren. Die speziellen Behälter zur Aufbewahrung von Zigarren sind sozusagen die luxuriöse Visitenkarte des Unternehmens und ein Verkaufsschlager, der zu 80 Prozent ins Ausland geht. Vermögende Zigarrenliebhaber, Prominente, Millionäre mit eigener Jacht oder das Hilton Hotel in Doha: Das ist die Klientel, die Qualität „made in Germany“ schätzt und in Duisburg bestellt. „2008 sind wir auf der Tabakmesse in Dortmund erst richtig mit unseren Humidoren gestartet“, erzählt der Tischler. „Mittlerweile gibt es Ausschreibungen in der arabischen Welt, bei denen speziell ein Gerber- Humidor gefordert wird. Das ist für uns ein Ritterschlag.“
Mal sind es nur kleine Kisten, die ab 1.000 Euro zu haben sind, mal ganze Schränke mit ausgeklügeltem Befeuchtungssystem, iPhone-Steuerung und Entkeimungsanlage im Wert von 50.000 Euro. Was die Behälter so teuer macht, ist ihr Innenleben aus echter Spanischer Zeder, einem südamerikanischen Laubbaum aus der Mahagonifamilie: „Das Holz ist spröde, teuer und harzt. Es ist schwierig zu beschaff en und kaum zu verarbeiten – aber eben für uns das Beste im Zigarrenbereich“, erklärt Karl-Heinz Gerber und öffnet einen kühlschrankgroßen Humidor, der sofort einen angenehm aromatischen Duft verströmt. Auf dem Gebiet der edlen Zigarrenschränke ist die Traditionstischlerei nicht nur weltweit führend, der Humidor dient oft auch als Türöffner und führt zu Folgeaufträgen – bis zum kompletten Hotelausbau. „Wir haben aber auch Kunden aus Duisburg, die sparen, um sich ein besonderes Stück leisten zu können“, erzählt der Chef. Für die Verkleidung muss es ja auch nicht immer weißes Ebenholz sein – da kostet schon allein das Furnier schnell mal 1.000 Euro.