Auf den Spuren der Krupp-Direktoren
Holger Leschik steigt 16 Stufen in den Keller hinab. Auf einmal befi ndet er sich in den 1950er-Jahren. Er steht vor Wandgemälden im Comicstil. Da gibt es die ausgelassene Karnevalsgesellschaft mit den Clowns, die Sektkorken aus den Flaschen schießen. In einem anderen Raum geht es zünftig bayrisch zu. Die Motive reichen vom Schuhplattler-Tänzer bis hin zur Blaskapelle. Und im Treppenaufgang wimmelt es von Männern, die am Weinglas nippen. Fabelwesen mit Teufelshörnern schenken ihnen nach.
Der damalige Zeitgeist
In diesem Nachkriegsdeutschland-Keller kam einst das Führungspersonal des Krupp-Hüttenwerks zusammen. Hier kehrte auch der Stahlbaron Berthold Beitz ein. Wenn die Besprechungen vorbei waren, ging es zum gemütlichen Teil über. Die Krupp-Bosse pafften im Souterrain dicke Zigarren und tranken sich durch den Weinkeller. „Das passte damals alles zum Zeitgeist“, erklärt Leschik. „Der Krieg war gerade vorbei, die Leute wollten sich an schönen Dingen erfreuen.“ Deshalb beauftragte der damalige Hüttenwerk-Vorstand den Düsseldorfer Künstler Hans Füsser damit, den Frohsinn auf die Wände zu pinseln. Leschik kennt alle diese Geschichten. Sie haben sich schließlich in seinem Eigentum zugetragen. Der 50-Jährige besitzt das Casino Bliersheim. Dort, wo heute dicke Sattelschlepper die Logport-Gebäude ansteuern, betreibt Leschik eine Gastronomie.
Bis zu 160 Gäste können hier Geburtstage, Firmenfeste oder Hochzeiten feiern. Das alles in einem Gebäude, das ein Stück Duisburger Wirtschaftsgeschichte erzählen kann.
„Der Krieg war gerade vorbei, die Leute wollten sich an schönen Dingen erfreuen.“
Nach englischem Vorbild
Um von der Vergangenheit des Casinos zu erzählen, bittet Leschik an einen Tisch im Festsaal. Ab 1903 entstand die Beamtensiedlung Bliersheim. Bei Krupp herrschte Residenzpflicht, die leitenden Angestellten mussten in der Nähe des Hüttenwerks wohnen. Es waren nach damaligen Standards luxuriöse Unterkünfte. Der Architekt Robert Schmohl gestaltete diese Kolonie nach dem Vorbild des englischen Landhausstils. Die Wohnhäuser verfügen alle über aufwendig gestaltete Giebel – mit Fachwerk und verzierten Gauben. Der Direktor des Werks bewohnte die größte Villa. Zu ihr gehörte auch ein Kutscherhaus für Personal. Innerhalb des Karrees lag eben auch das Casino, in dem sich die Krupp-Oberen trafen und Gäste empfingen. Als es den Keller mit den Wandmalereien noch nicht gab, war das Erdgeschoss ihre Freizeitstätte. Hier gab es einen Billardtisch, eine Kegelbahn und meterlange Esstische unter Kronleuchtern. „Personal war damals offenbar reichlich vorhanden“, erzählt Leschik. Er deutet auf einen alten Klingelknopf an der Wand. Wer ein leeres Glas oder einen leeren Teller vor sich stehen hatte, musste nur den Knopf drücken. Und bald stand schon die Bedienung am Tisch und schenkte nach.
Auch das Wirtschaftswunder spiegelte sich im Casino wider. Für das Krupp-Hüttenwerk in Rheinhausen ging es nach dem Zweiten Weltkrieg rasch wieder aufwärts. In seinem repräsentativen Gebäude konnte das Unternehmen zeigen, dass es ihm gut geht. Diesen Prunk der Vergangenheit entdeckten auch schon Filmteams für sich. So entstanden im Casino Szenen für „Das Wunder von Bern“. In dem Fußballfilm schwört Bundestrainer Sepp Herberger seine Mannschaft auf das WM-Finale 1954 ein. Das Quartier befand sich eigentlich im Hotel Belvedere am Thunersee. Die Innenaufnahmen verlegte die Crew aber in den Duisburger Westen. „Hier sind auch noch weitere Filme entstanden“, sagt Leschik und denkt dabei an die Produktion „Hannah Arendt“ über die gleichnamige Publizistin.
Ende in den Siebzigerjahren
Doch zurück zur Geschichte des Casinos: In den 1950er-Jahren zogen die Direktoren in andere Villen rund um den Kruppsee. Die Industriefläche wuchs in dieser Zeit, die ursprüngliche Lage am Rande des Hüttenwerks war somit nicht mehr attraktiv. Die Bliersheimer Villen blieben aber bewohnt. Bis in die 1980er-Jahre lebten hier andere Mitarbeiter von Krupp. Als 1993 die letzte Schicht im Hüttenwerk endete, gerieten das Casino und die Villen bei der Bevölkerung nach und nach in Vergessenheit. Aber nicht bei Leschik. Der gebürtige Rheinhauser hatte eine besondere Verbindung zu dem Areal. Seine Großväter und sein Vater arbeiteten für Krupp. „Ich kannte das Gelände aus meiner Kindheit“, sagte Leschik. Er kehrte Rheinhausen zwar zeitweise den Rücken. Nach seiner Ausbildung bei Steigenberger arbeitete Leschik unter anderem in der Schweiz. Um die Jahrtausendwende kam er aber zurück nach Duisburg. Leschik betrieb damals einen Catering-Service in seiner Hei-matstadt. Er kochte auch für eine Eventagentur. „Und die haben immer Krimi-Dinner im alten Casino veranstaltet“, sagt Leschik. Ihm gefiel das denkmalgeschützte Gebäude – und 2006 kaufte er es der Landesentwicklungsgesellschaft ab. „Danach musste ich natürlich noch viel Geld in die Renovierung stecken“, sagt Leschik.
Etwas Besonderes für Krupp-Kenner
Die Investition hat sich gelohnt: Das Casino Bliersheim hat sich als Veranstaltungsort weit über Duisburg hinaus einen Namen gemacht. Leschik weckt manchmal auch Erinnerungen. So kommt er mit älteren Gästen ins Gespräch, die das Casino noch aus der Krupp-Zeit kennen. „Für die ist es natürlich etwas Besonderes, in diesem Gebäude zu feiern.“